Ein Handbuch in ganzheitlicher Finanzplanung - für Profis und interessierte Leser
Selten hat war ich auf eine Veröffentlichung so gespannt, wie auf vorliegendes Buch. Denn die gut lesbaren Schweizer Fachbücher im Bereich der Finanzplanung sind, abgesehen von der gängigen Ratgeber-Literatur, eher rar gesät.
Umso grösser war die Vorfreude des finanziellen Greifvogels über vorliegendes Werk, welches tatsächlich heute, also am 15.1.2022 erscheint.
Die Autoren Pascal Bechtiger und Reto Spring sind ausgewiesene Experten im Bereich der Finanzplanung. Während Ersterer fundiertes akademisches Know-how als Dozent der OST (Ostschweizer Fachhochschule) einbringt, ist Reto Spring als Präsident des Finanzplaner-verbands Schweiz und Experte mit ca. 20 Jahren Finanzplanungspraxis in der Branche doch sehr bekannt.
Die Autoren spannen im Buch einen weiten Bogen von „Warum Finanzplanung“ über regulatorische und standesrechtliche Fragen bis hin zum eigentlichen Finanzplanungsprozess. Zu Beginn steht eine Einordnung der Finanzplanung unter Berücksichtigung der neueren Erkenntnisse der Verhaltensökonomie an, löblicherweise zieht sich der moderne Behavioral Finance Ansatz durch das ganze Buch und der Leser wird nicht mit „Zahlenfriedhöfen“ überfordert. Hingegen wird die Wichtigkeit der kundengerechten Kommunikation sachgerecht und mehrfach unterstrichen – leider schlägt der Fachidiot immer noch Kunden tot ;)
Die Autorenfedern sind dabei eher spitz, so bringen die Autoren ihre Ansichten durchaus pointiert zu Papier, zum Beispiel:
„Unser Sozialversicherungsmodell stammt gefühlt aus der letzten Eiszeit, das Vorsorgemodell aus dem Mittelalter. In der digitalen Arbeitswelt sehen wir uns aber mit Herausforderungen der 21. Jahrhunderts konfrontiert. Diese Diskrepanz, dass die gesellschaftliche Realität und die tradierten Systeme […] mangels Reformen immer mehr auseinanderklaffen, sorgt für Handlungsbedarf. Gesucht sind Orientierung und Sicherheit.“
Völlig zu Recht zeigen die Autoren auf, dass nicht der Mangel an Informationen das Problem ist, sondern die Umsetzungskompetenz geeigneter Massnahmen. Ergo benötigen Kunden ein sinnvolles und nachhaltiges Finanzcoaching, es hat aber einige Hindernisse. Die Informationsflut aus dem Internet führe, angesichts der Fülle von teils widersprüchlichen Handlungsempfehlungen, zu einer désinformation professionelle statt zu einem Erkenntnisgewinn. (Man bedenke hierzu auch den knackigen Begriff der Finanz-Pornografie, geprägt vom deutschen ETF-Papst Gerd Kommer). Der aufgeführte Vergleich zur Medizin ist sehr gut: so mancher Patient glaubt dank „Dr. med. Google“ zu wissen, welche Krankheit ihn plagt. Die Arztvisite soll nur noch die gefestigte Patientenmeinung bestätigen – ein Horrorszenario von dem Hausärzte wohl ein Lied singen können. Doch zurück zur Finanzplanung.
In der Tat bewegt sich der zeitgemässe Finanzplaner in einem dynamischen Spannungsfeld zwischen Disruption und Evolution. Disruptiv, weil der Aufstieg der sozialen Medien zeitgleich mit der Erosion der Meinungshoheit der (echten) Experten daherkommt. Oder wie die Autoren treffend schreiben:
„Die Zunft der selbsternannten Finanzblogger, Anlage-Gurus und Wirtschafts-Astrologen ist weder kontrolliert oder reguliert noch zertifiziert“
Das ist scharf geschossen, bringt die Problematik aber sehr gut auf den Punkt: denn der Kunde hört wohlmöglich auf den Finanzblogger und stellt ihn fatalerweise auf die gleiche Stufe wie einen ausgebildeten Finanzplaner – spätestens wenn dann ein Vermögensschaden eintritt, beginnt dann das Wehklagen. Hier ist klarer Handlungsbedarf vonnöten.
Unter Evolution beschreiben die Autoren die langsame Wandlung des Berufs Finanzplaner vom Produktevermittler zum Finanzcoach, nicht ganz ohne feine Nadelstiche gegen die klassischen Banken oder Strukturvertriebe auszuteilen. Spannend genug: interessanterweise liegen bei aktuellen Umfragen zur Glaubwürdigkeit genossenschaftlich organisierte Firmen und wirklich unabhängige Finanzdienstleister vorn – möge sich dieser Trend verfestigen.
Sehr schön gelöst ist die grafische Aufmachung des Buchinhalts: in farbig abgestimmten Boxen hat es kompakte take-aways zu den jeweiligen Kapiteln, quasi das Wichtigste nochmal als learning abgebildet. Dies macht vorliegendes Buch auch als Nachschlagewerk sehr wertvoll, es kann in der Tat als Handbuch für den Praktiker verwendet werden. Der Lesefluss wird durch die grafische Unterteilung dankenswerterweise aber kaum gestört, so macht ein Fachbuch Spass!
Einzig der harmoniebedürftige Leser sei vorgewarnt: der dezidierte Schreibstil der Autoren könnte bei einigen Lesern in der von Konsens geprägten Schweizer Diskurskultur wohlmöglich unbequeme Fragen aufwerfen. Denn die Herren Bechtiger und Spring sind mutig und sprechen Klartext. Wer diesen mag und die Nennung von Ross und Reiter sehr schätzt, kommt voll auf seine Kosten. (Ein anderes sehr gutes Buch mit starken Klartext hat Pirmin Hotz geschrieben, hier geht es zur Rezension).
Abgerundet wird das Werk von einem spannenden Ausblick mit Blick auf die Zukunftstrends der Finanzplanung. So werden beispielsweise die Integration von Nachhaltigkeitskonzepten in den Finanzplanungsprozess oder technologische Fortschritte wie Machine Learning erläutert, ohne die kritische Distanz missen zu lassen.
Fazit: es ist wahrlich eine Herausforderung, die moderne state-of-the-art Finanzplanung kompakt und verständlich auf über 200 Seiten darzustellen, ohne den Leser zu langweilen. Das ist den Autoren mit Bravour gelungen.
„Orientierung statt Moneypulierung“ liest sich gut und verständlich und sollte eine Pflichtlektüre für Schweizer Finanzplaner und interessierte Laien sein.
Schlussfrage: Eignet sich das Buch für Finanzplaner in Deutschland und Österreich? Ja, absolut. Viele Sachverhalte sind international gültig, nur die Punkte Regulierung und Ausbildung bzw. das Gros der Beispiele ist naturgemäss auf die Schweiz bezogen.
Bewertung: 5 von 5 Sternen.
Herzlich, Euer Finanz-Uhu
Bechtiger, Pascal und Spring, Reto
Orientierung statt Moneypulierung. 1. Auflage 2022.
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